Grafschafter Schulgeschichte

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Allgemein-05

Allgemeine Entwicklung des Schulwesens

Grundschulen ab 1920
Nach dem "Gesetz, betreffend die Grundschulen und Aufhebung der Vorschulen" vom 20. April 1920 ist die Grundschule in den vier untersten Jahrgängen als die für alle gemeinsame Grundschule, auf der sich auch das mittlere und höhere Schulwesen aufbaut, einzurichten. Dabei wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass hierunter auch die nach § 146 Abs. 2 der Weimarer Verfassung eingerichteten Konfessionsschulen fallen.

Nach den Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplänen hat die Grundschule die Aufgabe, den sie besuchenden Kindern eine grundlegende Bildung zu vermitteln, an die sowohl die Volksschule der vier oberen Jahrgänge wie die mittleren und höheren Schulen mit ihrem weiterführenden Unterricht anknüpfen können. Die Lehrgegenstände der Grundschule sind Religion, Heimatkunde, deutsche Sprache, Rechnen, Zeichnen, Gesang, Turnen und für die Mädchen des 3. und 4. Schuljahres Nadelarbeit.

Für den Anfangsunterricht ist eine strenge Scheidung der Lehrfächer nach bestimmten Stunden nicht vorzuschreiben, statt ihrer ist vielmehr ein Gesamtunterricht zuzulassen, in dem die verschiedenen Unterrichtsgegenstände zwanglos abwechseln. Im Mittelpunkt steht dabei der heimatkundliche Anschauungsunterricht, in den sich die grundlegenden Übungen der übrigen Fächer eingliedern. Dabei ist der Stundenplan der wenig gegliederten Schulen so einzurichten, dass der Lehrer die Schulanfänger mindestens in vier Stunden pro Woche allein unterrichtet.

Bei 18 Wochenstunden im 1., 22 im 2., 26 im 3. und 28 im 4. Schuljahr, zusammen 94 Wochenstunden, sind im 2. - 4. Schuljahr vorzusehen: 2+3+3 = 8 Wchstd., in Heimatkunde 3+3+5 =11 Wchstd., in Deutsch 8+8+7 =23 Wchstd., in Schreiben 2+2+2 = 6 Wchstd., in Rechnen 4+4+4 = 12 Wchstd., in Zeichnen 0+2+2 = 4 Wchstd., in Gesang 1+2+2 = 5 Wchstd., in Turnen 2+2+3 = 7 Wchstd. und in Nadelarbeit für Mädchen im 3. und 4. Schj. 2+2 = 4 Wchstd. In Schulen mit geringerer Klassenzahl müssen die Stundenzahlen den Verhältnissen angepasst werden.

Im Gesetz ist ferner vorgesehen, dass die an Gymnasien bestehenden Vorschulen oder Vorklassen, die 3 Schuljahrgänge umfassten, sofort oder auslaufend aufgelöst werden. Dies ist jedoch für die Grafschaft Bentheim ohne Belang, da es noch keine Gymnasien gibt.

1923 gibt das das für die Schulpolitik der Reichsregierung verantwortliche Reichsinnenministerium einen besonderen Erlass über die Gestaltung des Unterrichts in den Grundschulen des gesamten Reiches heraus. In Preußen werden diese Richtlinien vom 28.4.1923 ebenfalls als Rechtsgrundlage der gleichzeitig mit dem Aufbau der allgemeinen Grundschule zu vollziehenden Umgestaltung der Volksschulunterstufe angesehen, wie der vorher schon erwähnte Erlass des preußischen Unterrichtsministerium aus dem Jahre 1921. Diese Richtlinien haben folgenden Wortlaut:

Erlass des Reichsministers des Innern vom 28.4.1923 (RMBl.298)

Die für alle Kinder gemeinsame Grundschule ist keine besondere Schulgattung. Sie ist vielmehr ein Teil der Volksschule und umfasst deren vier untersten Jahrgänge, die zugleich die Grundstufe aller mittleren und höheren Schulstufen bildet.

Die vier ersten Schuljahre haben ein eigenes Ziel und ein einheitliches Arbeitsgebiet. Ihr Ziel ist die allmähliche Entfaltung der kindlichen Kräfte aus dem Spiel und Bewegungstrieb zum sittlichen Arbeitswillen, der sich innerhalb der Schulgemeinschaft bestätigt. Ihr einheitliches Arbeitsgebiet ist die aufnehmende und gestaltende Erfassung der räumlichen und geistigen Kinderheimat unter besonderer Berücksichtigung der Pflege des kindertümlichen sprachlichen Ausdrucks und der planmäßigen Schulung von Auge und Hand durch eigene werktätige Arbeit, sowie durch Beobachtung von Natur, Arbeit und Arbeitsstätte.

Daneben ist die körperliche Erziehung besonders durch Spielen, Turnen, Wandern und je nach Jahreszeit durch Baden, Rodeln, Eislauf und andere körperliche Betätigung zu pflegen.

Dieses Ziel der Grundschule erfordert auch das bewusste Einleben in die Muttersprache und ihre kindertümlichen Sprach- und Dichtungsschätze, daher Lesen, Schreiben und Singen, ferner die Erfassung von Raumformen, Rhythmen und Zahlen, die besonders aus der werktätigen Beschäftigung mit den Dingen (Arbeitsunterricht) und bei den Raumformen auch durch Zeichnen, Formen und Ausschneiden zu gewinnen sind.

So ergibt sich ein "Gesamtunterricht" als Unterbau, der sich allmählich gliedert in heimatlichen Sachunterricht mit Ausdrucks- und Arbeitsübungen, Sprachunterricht, Rechnen, Gesang, Zeichnen, Turnen und Werkunterricht.

Durch diese Zielbestimmung aus der kindlichen Entwicklung und dem Ausgleich zwischen ihr und den Kulturforderungen schafft die Grundschule aus ihrem Wesen selbst heraus die Grundlage für jede weiterführende Bildung, auch für die höhere Schule, ohne damit mit der ihr wesensfremden Aufgabe belastet zu werden, eine Vorschule für fremdsprachlichen Unterricht zu werden" (zitiert nach: Karl-Heinz Nave, Die allgemeine deutsche Grundschule, Anlage 5, Seite 176)

Ein besonders anschauliches Bild von den pädagogischen Bestrebungen, die die Haltung der deutschen Volksschullehrerschaft in den Auseinandersetzungen um die deutsche Grundschule nach 1920 mitbestimmten, gibt ein Ausschnitt aus einer Rede Georg Wolffs auf einer Elternversammlung, die am 23. Juli 1925 vom Deutschen Lehrerverein in Berlin veranstaltet wurde: "Die pädagogische Idee der Grundschule: Bildung des ganzen Menschen, Förderung aller Anlagen und Kräfte, auch der irrationalen, Weckung und Belebung des Körpergefühls. .... Die Grundschule will alle Anlagen des Kindes entwickeln, gewiss auch die intellektuellen, aber auch die des Körpergefühls, der Phantasie, der Handfertigkeit, die religiösen, die künstlerischen, die sozialethischen. Deshalb zeigt sie eine erhöhte Fürsorge für Spiel und Turnen, Zeichnen und Gestalten, Beobachten und Wandern, Handarbeit und freies Sprechen.

Die Grundschule will nicht einfach Stoffe übermitteln, sondern die jugendlichen Kräfte entwickeln an eigener Arbeit und bei eigenem Tun. Das ist die tiefste Begründung der neuen Arbeit in der Grundschule: Es gibt eine Gemeinsamkeit des Kindseins, der Kindheitsstufe bei allen unseren Kindern; es gibt einen Bezirk deutschen Kulturgutes. Man kann Kinder im Eilzugtempo durch diese Entwicklungsstufe jagen, man kann Kinder möglichst frühzeitig an Sonderbildung heranbringen - beides geht, aber es geht eben auf Kosten der Gesamtentwicklung der Kinder. .... Darum: Arm das Kind, das um seine Kindheitsstufe gebracht wir, arm das Kind, das nicht heimisch im deutschen Kulturbesitz wird! Gerade alle Sonderbildung muss in dem Boden des deutschen Kulturgutes wurzeln, sonst bleibt sie blutlos und saftlos und entfremdet zugleich ihren Besitzer seinem Volke." (Georg Wolff, Der Sinn der Grundschule, Ein Vortrag, 1925, in: Karl-Heinz Nave, Die allgemeine deutsche Grundschule, 1961)

Quellen:
a) Gesetz, betreffend die Grundschulen und Aufhebung der Vorschulen vom 28.4.1920, in: documentArchiv.de (http://www.documentarchiv.de/wr/1920/grundschulgesetz.html)
b) Richtlinien zur Aufstellung von Lehrplänen für die Grundschule der preußischen Regierung vom 16. März 1921, Amtliches Schulblatt, Osnabrück 1921, Seiten 57 - 70
c) Karl-Heinz Nave, Die allgemeine deutsche Grundschule, Ihre Entstehung aus der Novemberrevolution von 1918, Weinheim 1961
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