Grafschafter Schulgeschichte

Startseite     Kontakt      Impressum

Allgemein-10

Allgemeine Entwicklung des Schulwesens

Der Neubeginn im Jahre 1945
In einem Rundschreiben an alle Schulen teilte der von der Britischen Militärregierung eingesetzte Schulrat für den Landkreis Grafschaft Bentheim, Herr Tönnies Portheine, bisher Mittelschullehrer an der Mittelschule Nordhorn, am 4. August 1945 mit:
„Um die Grundschule am 1. September eröffnen zu können, wünscht die Militärregierung die sofortige Beantwortung folgender Fragen:

1. Zahl der Kinder der Grundschule (Schulneulinge und die drei untersten Jahrgänge der bisherigen Grundschule),

2. Zahl der Räume, die augenblicklich für die Grundschule verfügbar sind (Sollten noch Schulen mit Möbeln, Flüchtlingen oder evakuierten Bauern belegt sein, so müssen sie sofort geräumt werden, soweit Räume für die Grundschule benötigt werden.)

3. Kann die Grundschule in den vorhandenen Räumen gleichzeitig unterrichtet werden oder in zwei oder mehreren Schichten nacheinander?

4. Sind noch Räume so schwer beschädigt, dass der Unterricht der Schule nicht beginnen kann, und welche Ausbesserungen sind noch unbedingt erforderlich?

5. a) Namentliche Liste sämtlicher Lehrkräfte (auch die in Haft oder Gefangenschaft und die entlassenen),
b) Das Alter der Lehrkräfte hinter den Namen in Zahlen angeben,
c) Lehrbefähigung (für Mittelschule, Volksschule oder ohne Lehramtsprüfung)“

In einem Rundschreiben vom 23.8.1945 heißt es dann auszugsweise:

1. Der Unterrichtsbeginn der Grundschule wird endgültig auf Mittwoch, den 29. August, festgelegt.

2. Unterrichten dürfen vorläufig nur „genehmigte“ Lehrkräfte.

3. Vor Eröffnung des Unterrichts muss jede Lehrkraft geschult werden und eine schriftliche Erklärung ausfüllen und unterzeichnen.

4. ....“

Am 22.10.1945 teilte Schulrat Portheine dann mit:

"Volksschulen eröffnen am 25. Oktober. Die Lehrpläne für die ersten drei Monate sind im Druck und werden den einzelnen Schulen noch vor Donnerstag ausgehändigt. Ein Normalplan für Grund- und Volksschulen ist in Vorbereitung.
Die Mittelschulen beginnen mit ihrem Unterricht am 1. November. Die Mittelschullehrer treten am 25. Oktober vom Volksschuldienst zurück. Ich ersuche die Leiter der Mittelschulen, den überreichten Lehrplan für Mittelschulen vervielfältigen zu lassen, damit jede Lehrkraft zu Beginn des Unterrichts im Besitz des Planes ist. Ich bitte ferner, den beiliegenden Bogen mit grundsätzlichen Erwägungen dem Plan vorheften zu wollen.“

Die Wiedereröffnung der Schule geht zurück auf eine Verfügung der Militärregierung in Osnabrück vom 17. August 1945 an sämtliche Schulbeamte und Lehrer. Hierin heißt es:

„17. August 1945
Militärregierung Reg.Bez. Osnabrück
604 Mil. Gov. Technische Anweisung Nr. 1 (Unterricht)
Bedingungen für die Wiedereröffnung deutscher Schulen

An sämtliche Schulbeamte und Lehrer
In Kürze werden die deutschen Schulen wieder eröffnet. Die nachstehenden Bedingungen müssen auf das genaueste befolgt werden:

1. Keinem Lehrer wird erlaubt, in seinem Unterricht, welches Fach er auch behandeln mag, irgend etwas hineinzubringen, was
( I ) den Militarismus verherrlicht,
( II ) die Nazidoktrin propagiert, sie wieder zu beleben oder zu rechtfertigen sucht oder
geeignet ist, die Leistungen der Naziführer zu verherrlichen,
( III ) eine Politik der Unterscheidung aus Gründen der Rasse oder der Religion begünstigt,
( IV ) den Beziehungen zwischen irgendwelchen vereinigten Nationen gegenüber feindlich
gesinnt ist oder beabsichtigt, diese zu stören,
( V ) Erörterungen zur praktischen Kriegsführung oder Mobilisierung, sei es auf
wissenschaftlichem, wirtschaftlichem oder industriellen Gebiete oder das Studium der
militärischen Geographie betrifft.

2. Keine körperliche Ertüchtigung darf stattfinden, welche militärische Ausbildung oder eine Form der Vorbereitung für die militärische Ertüchtigung darstellt.

Im einzelnen werden folgende Arten nicht erlaubt:
a) Schieß- und Waffenunterricht irgendwelcher Art einschl. Übungen mit Scheinwaffen,
jedoch nicht eingeschlossen sind die allgemein anerkannten athletischen Übungen wie
Speer-, Diskus- und Hammerwerfen sowie Gewichts- und Kugelstoßen.
b) irgendwelche Übungen oder Reihenfolgen von Übungen, von denen, falls sie mangelhaft
ausgeführt werden, angenommen werden muss, dass sie für die Ausübenden körperliche
Schäden verursachen.
c) Übungsmärsche, Exerzieren, unbewaffneter Kampf.
d) Manöver oder Spiele mit charakteristischen Merkmalen in der Absicht, sie für
militärische Zwecke zu verwenden.

3. Unterricht wird sich strengstens auf den von der MR genehmigten Lehrplan beschränken. Das für jede besondere Schule oder Klasse zu lehrende Pensum darf von deutschen Behörden entschieden werden, aber nichts über den genehmigten Lehrplan hinaus.

4. Es darf kein Lehrbuch benutzt werden, das nicht von der MR genehmigt worden ist.
5. Alle nationalsozialistischen oder militärischen Bücher, Filme, Lichtbilder, Karten, Pläne und andere Lehrmittel, die im Widerspruch zu Abs. 1 stehen, müssen abgesondert werden, in einem separaten, unbenutzten Raum verschlossen und auf keinen Fall benutzt werden.

6. Jeder deutsche Beamte oder Lehrer ist verantwortlich, dass diese Bedingungen in seinem Verwaltungsbereich befolgt werden, z.B. achtet der Kreisschulrat auf seinen Kreis, der Rektor auf seine Schule. Jeder Beamte oder Lehrer hat eine ihm bekannte Verletzung dieser Bedingungen sofort zu Stoppen und der MR Bericht zu erstatten.“

Geschichtsunterricht durfte zunächst nicht durchgeführt werden. Erst Ende 1946 gestattete die Militärregierung auch die Wiedereinführung dieses Faches. Ziele des Geschichtsunterrichtes sollten nach dem Willen der Militärregierung sein:

1. „Das Fach Geschichte sollte vor allem dazu beitragen, das historische Bewusstsein der deutschen Jugend von der europäischen und nicht von der nationalen Perspektive allein her zu prägen.

2. Das Fach Geschichte sollte sich weit stärker als bisher mit der Tradition des demokratischen Gedankens, mit seinen Vertretern und deren Werdegang befassen“ (vgl. Neuenhaus 1945, Seite 57).

Bereits am 1. August 1945 hatte die britische Militärregierung der reformierten Kirche die Erlaubnis erteilt, den erweiterten kirchlichen Religionsunterricht aufzunehmen. So wurden im Kirchspiel Gildehaus fünf Lehrer hierzu von den Kirchenräten zugelassen (vgl. Gildehaus, Seite 199). In Neuenhaus konnten zwei Lehrer diesen Unterricht durchführen (vgl. Schulchronik, Seite 72). An welchen Schulen dieser Unterricht sonst noch durchgeführt wurde, ist nicht bekannt. In Wietmarschen konnte zunächst noch kein Unterricht durchgeführt werden, weil die Schule noch von polnischen Truppen belegt war (vgl. Neuenhaus 1945, Seite 57). Die Schule Wielen lag nach dem Kriege in der Sperrzone zu den Niederlanden und wurde bis 1946 als Unterkunfts- und Verwaltungsraum der Besatzungssoldaten genutzt. Die Schulkinder besuchten während dieser Zeit die Schule in Ratzel (Schulchronik Uelsen, Seite 204). Ebenso musste die Ernst-Moritz-Arendt-Schule in Nordhorn, die schon seit 1943 als Lazarett gedient hatte, gleich nach Schulbeginn erneut geräumt werden, weil im Schulgebäude für etwa ein Jahr ein Hilfskrankenhaus untergebracht werden musste (vergl. Nordhorn 1945, Seite 72).

Über den Wiederbeginn des Unterrichts berichtet eine ehemalige Lehrerin der Marienschule Nordhorn: „Diese Zeit war eine ungeheure Belastung für uns Lehrer und auch für die Schüler. Auf engstem Raum waren wir zusammengepfercht. Sogar unter dem Dach der Schule wurde unterrichtet. Stützpfeiler nahmen den Kindern dort die Sicht. Die Noträume waren mit den unmöglichsten Bänken und Tischen möbliert. Manche Kinder hatten als Schreibfläche nur einen Schemel. Es fehlte nicht nur an Raum und Möbeln - nein auch an Anschauungsmaterial, vor allen Dingen an Heften und Büchern (die alten durften nicht mehr benutzt werden). Auch an Lehrern mangelte es; ein Teil von ihnen musste erst entnazifiziert werden. Viele waren auch noch nicht aus der Gefangenschaft zurückgekehrt“ (vgl. Marienschule, Seite 12).

In einem Bericht über die Volksschule Gildehaus heißt es:

„Nach dem Zusammenbruch blieben die Schulen geschlossen, die Schulbücher mussten eingesammelt und abgeliefert werden. Erst am 25.10.1945 erlaubte die Besatzungsmacht die Aufnahme des Schulbetriebes, der angesichts des Fehlens von Büchern, Heften und anderen Schreibmaterials sowie der Beschränkung auf vier Klassenräume außerordentlich behindert war. Als trotz des Papiermangels auf Initiative des Schulrates Arbeitshefte für Deutsch, Rechnen, Religion und Heimatkunde gedruckt werden konnten, bedeutete dies eine große Erleichterung. Ende und Anfang des Schuljahres fielen wie früher wieder in die Osterzeit. Zum kaum zu bewältigenden Problem geriet die Schulraumfrage: Wie sollte 450 Kindern Unterricht erteilt werden, wo doch nur vier Klassenräume zur Verfügung standen?“ (vgl. Gildehaus, Seite 176).

Bedingt durch den Zustrom von Flüchtlingen und Heimatvertriebenen aus den Ostgebieten, dem Verbleib von evakuierten Kindern aus dem Ruhrgebiet und der vorübergehenden Unterbringung Berliner Kinder mit ihren Lehrern in verschiedenen Orten („Storchaktion“) bis Mai 1946 nahm die Zahl der Schüler an allen Schulen des Landkreises gegenüber der Vorkriegszeit gewaltig zu. Da es andererseits zu wenige Lehrer gab, wurde als Richtzahl eine Klassenfrequenz von 70 Schülern festgelegt. In Einzelfällen gab es jedoch auch Klassen, in denen mehr als 100 Kinder unterrichtet wurden (vgl. Ringe, Seite 46).
Der Leistungsstand der Schüler war katastrophal; deshalb wurden vom Schulrat Prüfungen in Rechtschreiben und Rechnen angeordnet, die in allen Schulen durchzuführen waren. Am 8. Oktober fanden die Schulprüfungen in allen 4.

Grundschulklassen und am 10. November in allen 8. Klassen der Volks- und Mittelschulen statt. Am 30. November wurden alle Schüler einschl. Sitzenbleiber geprüft, die Ostern 1946 ihre 8-jährige Schulpflicht erfüllt hatten.

Als Ergebnisse in den 4. Klassen ergaben sich folgende Durchschnittsfehlerzahlen:

Fehler              Diktat            Rechnen
unter 5               1                    3
      5 bis 10              3                  18
11 bis 15          17                  29
16 bis 20          24                  13
mehr als 20      26                  8

Die besten Leistungen gab es im Diktat mit durchschnittlich 3,5 Fehlern in Haftenkamp, 6 Fehlern in Engden und 9,5 Fehlern in Uelsen, im Rechnen mit durchschnittlich 2,5 Fehlern in Osterwald, 3 Fehlern in Haftenkamp und 4,7 Fehlern in Drievorden.
Share by: