Grafschafter Schulgeschichte

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Em-28

Entwicklung des Schulwesens in der Samtgemeinde Emlichheim

Als die Inflation mitgaloppierte

Die Reise eines Frachtstücks nach Ringe

Von Horst H. Bechtluft

Zehn Tage war die „Eil“-Fracht per Bahn aus Deutschlands Süden nach Groß-Ringe unterwegs gewesen. Und dann musste der Empfänger für die Sendung auch noch 4280 Mark nachzahlen! – Über Verhältnisse vor 85 Jahren, als die große Inflation durch Deutschland galoppierte, berichtet ein jetzt aufgetauchtes Zeitdokument.

Bei Lehrer Heinrich Mügge und seiner Ehefrau Elsa in der Moorkolonie Neuringe hatte sich im Frühjahr 1923 Tochter Elfriede als viertes Kind gemeldet. Mit der Versorgung der Familie wurde es ziemlich eng, zumal das nicht gerade üppige Lehrergehalt bei der Inflation in Deutschland mit den Lebenshaltungskosten einfach nicht mithalten konnte. Am 16. August 1923 gaben deshalb Mügges Schwiegereltern, die im Städtchen Weinsberg in Württemberg lebten, eine schwergewichtige Hilfssendung auf: einen großen Schließkorb mit 66 Kilogramm Gewicht, gefüllt mit Kleidern und Wäsche.

Der Korb sollte mit der Bahn zur Bestimmungsstation Groß-Ringe transportiert werden. Als Bestimmungsort (weil nicht mit der Station identisch!) wird im Eilfrachtbrief Neuringe, der Wohnort des Empfängers, genannt. Das Zeitdokument ist vor Kurzem im Nachlass des Lehrers wieder aufgetaucht. Heinrich Mügge hatte auf der Rückseite in Kurzschrift die Geschichte des niederländischen Schulwesens von 1850 bis 1920 skizziert. Elfriede Mügge, die 85-jährige Tochter des Lehrers, die heute in Melle-Buer lebt, hat sämtliche Notizen ihres Vaters für die Erforschung der Geschichte Neuringes abgegeben.

Die zahlreichen Stempel auf dem Frachtbrief beschreiben auf den Tag genau 85 Jahre später den ziemlich umständlichen Bahntransport quer durchs Deutsche Reich mit allen Umladungen: 16. 8. 1923 Weinsberg, 16. 8. Heilbronn, 17. 8. Heidelberg, 18. 8. Frankfurt/ Main, 18. 8. Kassel, 20. 8. Altenbeken, 22. 8. Münster/ Westf., 24. 8. Bentheim, 25. 8. Nordhorn, 25. 8. Groß-Ringe. Das heißt, der letztgenannte Stempel trägt (noch) das Datum des 24. August 1923, was bei einem Ort an der Strecke jenseits von Nordhorn nicht recht einleuchtet.

Schließlich hatte der schwere Schließkorb sein bahnamtliches Ziel nach zehn Tagen erreicht. Groß-Ringe galt für die ab 1895 ausgebaute Bentheimer Kreisbahn (ab 1924: Bentheimer Eisenbahn) tatsächlich als „Bahnhof“. Allerdings gab es hier keinen Bahnhofsvorsteher, nur eine Wartehalle mit Güterschuppen. Immerhin war Groß-Ringe einer der elf „Bahnhöfe“ neben den sechs „Haltestellen“ und weiteren sechs „Haltepunkten“ der Bentheimer Kreisbahn.

Es ist nicht bekannt, wie Lehrer Mügge damals die Fracht von Groß-Ringe nach Neuringe beförderte. Es ist anzunehmen, dass ihm ein Bauer den schweren Korb mit dem Pferdefuhrwerk mitbrachte oder er sich ein Gespann auslieh.

Ärgerlich war die Abrechnung des Eilfrachtbriefs. Die Inflation war nämlich im Sinne des Wortes mit dem Schließkorb mitgefahren. Den Wert der Fracht hatten die Schwiegereltern bei der Aufgabe in Weinsberg mit „Eine Million Mark“ eingetragen. Dafür hatten sie offensichtlich die Summe von 29000 Mark bezahlt, und der Frachtbrief erhielt den Vermerk „frei“. Doch in der Rechnung taucht nachträglich der Vermerk „Zuschlag B.K.B.“ mit dem Betrag von 280 Mark und ein weiterer Eintrag „Kto 4000“ – unter dem Summenstrich also 4280 Mark! – auf.

Die Vermutung liegt nahe, dass dies die Summe war, die Lehrer Mügge Ende August 1923 nachträglich zu bezahlen hatte. Schließlich hatte die Bahnfracht durch Deutschland zehn Tage gedauert, und in dieser Zeit hatte die galoppierende Inflation ja nicht Halt gemacht. Im Gegenteil, sie hatte selbst den abgelegenen Bahnhof Groß-Ringe erreicht. Wenn es auch bis zum inflationären Höhepunkt weiterging mit dem täglichen Geldwertschwund. Dieser dauerte noch bis November 1923.

Quelle: Grafschafter Nachrichten (GN), 26.8.2008
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