Grafschafter Schulgeschichte

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Nhs-44

Entwicklung des Schulwesens in Neuenhaus

Grundschulzeit in Hohenkörben

Erinnerungen, niedergeschrieben von Jutta Schreur-Nordholt

In den Kleidern der Bauernkinder hängt das Aroma von frisch gemolkener Milch und Silofutter. Ich stehe vor meiner kleinen Schule, und sofort habe ich diesen Geruch in der Nase, einen Geruch, den ich nur von hier kenne. Fußbodenöl gehört dazu, eingezogen in alte Holzdielen, die abgetreten sind von zig Schülergenerationen. Im Winter vermischt sich der Geruch von geöltem Holz mit anderen Düften. Die Nässe von schweren Stiefeln tropft auf die Dielen, die feuchte Wolle selbst gestrickter dicker Pullover dünstet aus. Die knisternde Wärme vom kleinen Kohleofen breitet sich langsam aus und der ganze Schulraum dampft, riecht nach Kuhstall und Stroh, getautem Schnee und Kreidestaub.

Mein Vater ist der Lehrer an dieser Zwergschule, so nennt man sie ein bisschen abschätzig, die einklassigen Volksschulen auf dem Lande. Er verteilt die Aufgaben. Das achte Schuljahr hat Raumlehre, wir Kleinen schreiben einen Heimatkundeaufsatz. Mein Vater wickelt eine Papierspirale um eine Stricknadel und hält sie über den Ofen. Gespannt gucke ich zu, wie sich das rot-weiße Papier im Wärmestrom kräuselt und vergesse dabei meinen Heimatkundeaufsatz.

Zur Pause laufen wir durch das schneeverzuckerte Birkenwäldchen zum Hof hinter dem Lehrerhaus. Die Jungs versuchen uns Mädchen mit Schnee einzuseifen, bis mein Vater mit seiner Schiedsrichterpfeife dazwischen geht. Ich renne noch schnell nach Hause aufs Klo, heimlich, weil meine Klassenkameradinnen nicht merken sollen, dass ich die Schulklos so eklig finde.

Nach der Pause ist der Schulraum gestopft voll. Die I-Männekes sind jetzt auch gekommen, alle fünfzig Schüler aus acht Klassen drängen sich in die grünen Holzbänke mit dem angebauten Schrägpult. Neben mir sitzt Truddi, rotwangig und drall, mit schwarzer Schürze über den dunkelblauen Trainingshosen. Ich beneide Trudi um ihre Haare. Wunderbare, dicke Zöpfe, die sie zu einem Kranz um den Kopf dreht. Ich möchte auch solche Zöpfe, nicht den langweiligen Kopftopfschnitt, den mir meine Mutter verpasst.

Auf dem Lehrerpult steht inzwischen der schwarze Filmapparat, gestützt von der großen Kinderbibel und Brehms Tierleben. Die dunkelgrünen Rollos sind heruntergezogen, auf der umgedrehten Landkarte erscheinen Rotkäppchen und der Wolf, schwarzweiß und ohne Ton. Mein Vater erzählt das Märchen dazu. Er erzählt es zweimal. Einmal in Hochdeutsch und einmal in Plattdeutsch, für die I-Männekes. Sie sind in der Schulsprache unsicher. Es gibt noch keine Fernsehapparate auf den Höfen.

Nach dem Film ist die Schule aus. Fünfzig Kinder rattern das Schulgebet herunter. "Unseren Ausgang segne Gott, unseren Eingang gleichermaßen". Wir sind eine evangelische Bekenntnisschule.

Zu Hause hängt mein Vater seinen Schulanzug zum Lüften an die Waschküchentür. Bis morgen früh um sechs, wenn er zum Heizen in die Schule geht, ist der Geruch von Holz, Öl und Kreide verbannt. Ebenso der Duft von Stall und Stroh und feuchten Kleidern.

Meine kleine Schule. Längst ist sie keine Schule mehr, Städter haben darin ihr Wochenendhaus. Aber von außen ist sie unverändert. Ich steh davor und hab sofort den Geruch in der Nase. In den Kleidern der Bauernkinder hängt das Aroma von frisch gemolkener Milch und Silofutter.

Quelle: Der Grafschafter, Beilage der Grafschafter Nachrichten
Jutta Schreur-Nordholt hat einst ihre Grundschulausbildung in der einklassigen Volksschule Hohenkörben absolviert. Heute ist sie als Pfarrerin in Berlin tätig. Für den "Grafschafter" hat sie ihre Erinnerungen an die Grundschulzeit niedergeschrieben. Den Schulbericht über die Volksschule Hohenkörben finden Sie unter: Volksschule Hohenkörben

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