Grafschafter Schulgeschichte

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Nhs-49

Entwicklung des Schulwesens in Neuenhaus

KGS Neuenhaus - Planung für das Modell der Sekundarstufe I - in der Fassung vom 18.12.1973

1 - Ausgangslage und Zielvorstellungen

1.1 - Die KGS Neuenhaus will unter den besonderen Bedingungen eines dünn besiedelten, vorwiegend ländlich strukturierten Einzugsgebietes einen konkreten Beitrag zur Bildungsreform im Sinne des Strukturplanes leisten.

1.2 - Hinsichtlich ihrer Zielvorstellungen berücksichtigt sie Einstellungen und Erwartungshaltungen, die aus der Erfahrung als charakteristisch für die Population des Einzugsbereichs angenommen werden und nach Möglichkeit von der Wissenschaftlichen Begleitung überprüft werden sollen. Bei der Fortentwicklung des Schulversuchs ist die Überwindung der tatsächlichen Defizite anzustreben.

1.2.1 - Sowohl den Erwartungen als auch den soziographischen Bedingungen scheint am ehesten eine Form des Schulversuchs zu entsprechen, die vom zur Zeit bestehenden dreigliedrigen Schulsystem ausgeht und es in Richtung auf eine Kooperation verändert, die höchstmögliche Durchlässigkeit gewährleistet.

1.2.2 - Diese Zielsetzung ist auch deswegen realistisch, weil die KGS Neuenhaus keine Neugründung darstellt, sondern - als bisher einzige Gesamtschule in Niedersachsen - die drei am Ort bestehenden Schularten innerhalb eines Schulzentrums zu der neuen Einheit Kooperative Gesamtschule zusammenführt.

1.2.3 - Die nicht deckungsgleichen Einzugsgebiete der 3 Schulzweige und der unveränderbare Gesamteinzugsbereich der KGS Neuenhaus sind der Planung als vorgegeben zugrunde zu legen.

1.3 - Die Zielvorstellungen der KGS Neuenhaus richten sich entsprechend der Intentionen des Strukturplanes auf die Optimierung der Fähigkeit aller Schüler, ihr individuelles und gesellschaftliches Leben zu gestalten. Die KGS will daher

1.3.1 - den einzelnen Schüler optimal fördern, indem sie zusätzliche Bildungsmöglichkeiten anbietet und das Lernangebot differenziert,

1.3.2 - wissenschaftsbestimmtes Lernen für alle ermöglichen und die Bildung von Lernschwerpunkten erlauben,

1.3.3 - die Ungleichheiten der Bildungschancen ihrer Schüler durch kompensatorische Lernangebote abbauen helfen,

1.3.4 - das Leistungsprinzip sinnvoll in den pädagogischen Gesamtzusammenhang der Selbstverwirklichung einordnen,

1.3.5 - Lehrenden und Lernenden das soziale Lernen ermöglichen.

1.4 - Die konkreten sächlichen und personellen Voraussetzungen werden sich auf die Realisierung des Modells auswirken und ebenso wie die jeweiligen psychologischen Bedingungen seine Veränderung bzw. Anpassung erzwingen. Sie werden aber auch einen wirklichkeitsnahen und kontinuierlichen Aufbau ermöglichen.

1.5 - Die Erfahrungen der KGS Neuenhaus werden für die künftige Gestaltung der Sekundarstufe I in Niedersachsen wertvoll sein können, da ähnliche und vergleichbare soziogeographische Voraussetzungen in weiten Teilen des Landes angenommen werden dürfen.

2 - Beschreibung des Modells für die Sekundarstufe I

2.1 - Äußere Organisation

2.1.1 - Die durch das vorhandene Schulzentrum gegebene Raumausstattung ist vorläufig als unveränderliche Determinante anzusehen. Dies bedeutet, dass die KGS im wesentlichen innerhalb der organisatorischen Grenzen der Halbtagsschule arbeiten muss. Nachmittagsunterricht kann nur im Ausnahmefall angesetzt werden.

2.1.2 - Der Sekundarbereich I wird als eine strukturelle Einheit gestaltet. Ihre wesentlichen Züge sind:
- ein hohes Maß an Durchlässigkeit zwischen den Schulzweigen;
- die partielle Integration in bestimmten Fachbereichen;
- die Verzahnung der Schulzweige in einem Teil der Fächer;
- der schulzweigübergreifende Einsatz der Lehrer.

2.1.3 - Die vertikale Gliederung in die Schulzweige Hauptschule, Realschule, Gymnasium bleibt erhalten; die Erweiterung der Hauptschule um das 10. Schuljahr wird angestrebt.
Horizontal ist der Sekundarbereich I in drei Stufen gegliedert:

2.1.3.1 - Die Jahrgangsstufen 5 und 6 bilden die Orientierungsstufe.

2.1.3.2 - Bis zum Ende der Jahrgangsstufe 8 ist die volle Durchlässigkeit zwischen allen drei Schulzweigen gewährleistet

2.1.3.3 - Mit dem Beginn des 9. Schuljahres strebt die Hauptschule in bestimmten Bereichen in stärkerem Maße als bisher ein schulzweigspezifisches Abschlussprofil an. Ein freiwilliges 10. Schuljahr soll im Zuge der fortschreitenden Kooperation innerhalb der KGS Neuenhaus spätestens im Schuljahr 1976/77 eingerichtet werden (vgl. 2.4.).

2.1.4 - Der Übergang von der Orientierungsstufe in die Jahrgangsstufe 7 erfolgt gemäß den Bestimmungen des Erlasses vom 30.4.1973. Dabei ergibt sich eine äußere Differenzierung. Sie bewirkt in der Mehrzahl der Fächer und der Schüler eine relative Homogenität der Lerngruppen, die im gleichen Maße als eine Voraussetzung dafür anzusehen ist, dass sowohl die Lernmotivation des einzelnen Schülers erhalten als auch die gegenseitige Förderung der Schüler untereinander gewährleistet wird.

2.2 - Modifikation des vertikalen Aufbaus
Um jedoch den Schülern mit unterschiedlichen Leistungsprofilen gerecht zu werden, ist eine Reihe von unterrichtsorganisatorischen Maßnahmen vorgesehen, die den vertikalen Aufbau modifizieren:

2.2.1 - Integration aller drei Schulzweige im ästhetischen Fachbereich (Musik, Kunst, Werken, textiles Gestalten/Textilarbeit), in Sport und z.T. Religion (s. unter 2.3.2);

2.2.2 - generelle Durchlässigkeit in Englisch und Mathematik bei schulzweigspezifischen Anforderungen (vgl. 2.3.2);

2.2.83 - parallel zu dem unter 2.2.2 genannten Unterricht Kurse mit Lift- und Stützfunktion (s. dazu 2.3.2);

2.2.4 - kompensatorischer Unterricht in Deutsch parallel zum schulzweigspezifischen Pflichtunterricht (s. 2.3.3);

2.2.5 - Bildung von Lernschwerpunkten im naturwissenschaftlichen Fachbereich (Physik, Chemie, Biologie); soweit es die organisatorischen Bedingungen zulassen, werden schulzweigübergreifende Lerngruppen gebildet (s. 2.3.4);

2.2.6 - (für Realschule und Hauptschule): Durchlässigkeit in einem Wahlpflichtbereich (Französisch, Niederländisch, Wirtschaftskunde, Arbeitslehre, vgl. unter 2.3.5);

2.2.7 - Arbeitsgemeinschaften im Wahlbereich: Theater, Fotografie, Sport usw.;

2.2.8 - gemeinsame Schulveranstaltungen: Chor, Orchester usw.

2.3 - Beschreibung der Modifikation (nach 2.2) im einzelnen

2.3.1 - In Fächern, in denen die Leistungsfähigkeit u.a. von psychomotorischen Komponenten abhängt (Sport, Musik, Kunst, Werken, textiles Gestalten/Textilarbeit), wird der Unterricht schulzweigübergreifend erteilt. Außer in Grundkursen wird der Unterricht in diesen Fächern auch in Neigungsgruppen angeboten.

2.3.2 - Fachspezifische Leistungsdifferenzierung in Englisch und Mathematik

2.3.2.1 - In den Fächern Englisch und Mathematik wird den Schülern von Hauptschule und Realschule die Möglichkeit geboten, am Unterricht mit den nächsthöheren Leistungsanforderungen teilzunehmen. Voraussetzung ist in der Regel der Nachweis entsprechender Leistungen in dem betreffenden Fach.

2.3.2.2 - Um den vorgesehenen Übergang in die nächsthöhere Leistungsgruppe zu erleichtern, nehmen die betreffenden Schüler nicht am Fachunterricht ihrer Klasse teil, sondern werden in Kursen zusammengefasst, in denen sie - in der Regel über ein Schulhalbjahr hin - eine auf den Übergang zielende intensive Förderung erfahren. Die Zahl der Kursteilnehmer sollte, einschließlich der unter 2.3.2.3 genannten Schüler, 12 bis 15 nicht überschreiten. In der Regel nimmt ein Schüler nur an einem Kurs (Englisch oder Mathematik) teil.

2.3.2.3 - Neben der beschriebenen Liftfunktion übernehmen die Kurse die Aufgabe des Stützens: Ihnen können Schüler zugewiesen werden, bei denen Leistungsdefizite auftreten, ohne dass eine Umstufung bzw. Wiederholung der Klassenstufe pädagogisch vertretbar erscheint. Die Dauer der Zugehörigkeit wird in der Regel auf ein Schulhalbjahr begrenzt. In besonderen Fällen kann die Zuweisung in Englisch und in Mathematik erfolgen.

2.3.2.4 - Es ist Aufgabe der schulzweigübergreifenden Fachkonferenzen Englisch und Mathematik, durch curriculare Entscheidungen die Voraussetzungen für die Durchlässigkeit zu schaffen. Der Unterrichtseinsatz der Lehrer sollte so erfolgen, dass der im Kurs Unterrichtende jeweils auch Fachlehrer einer leistungshöheren Lerngruppe ist. Diese Forderung lässt sich nur erfüllen, wenn der Unterricht nicht über die gesamte Jahrgangsstufe hin voll parallelisiert wird (dies wäre in einer Halbtagsschule, zumal dieser Größe, und bei der Zahl der voraussichtlich zur Verfügung stehenden Fachlehrer ohnehin nicht realisierbar).

2.3.2.5 - Die zwischen den Schulzweigen Hauptschule und Realschule einerseits sowie Realschule und Gymnasium andererseits eingerichteten Kurse in Englisch und Mathematik bilden das Kernstück dieses Modells: Sie ermöglichen die individuelle Förderung des Schülers, der in einem dieser Fächer sein sonstiges Leistungsniveau übertroffen hat, und ebenso desjenigen, der unter sein sonstiges Leistungsniveau abgesunken ist. Sie eröffnen die Möglichkeit zu fachbezogener Tüchtigkeitsgruppierung und helfen die bei einer generellen Abstufung zu erwartende Entmutigung des Schülers vermeiden.

2.3.3 - Kompensatorischer Deutschunterricht
Da Defizite in Sprachkompetenz und -performanz bei Schülern aller drei Schulzweige der KGS Neuenhaus in einem ungewöhnlich hohen Maße vorliegen, kommt den kompensatorischen Bemühungen auch in der Sekundarstufe I noch große Bedeutung zu. In Zusammenarbeit mit der wissenschaftlichen Begleitung, die sich bereits mit der Erhellung des soziokulturellen Hintergrundes der Schülerpopulation befasst, müssen entweder in der Fachkonferenz oder in einer eigens zu diesem Zwecke gebildeten Arbeitsgruppe die jeweiligen Ziele und Methoden erarbeitet werden.

2.3.4 - Kooperation im Lernbereich Naturwissenschaften
Eine gemeinsame Fachkonferenz Naturwissenschaften wird beauftragt, die unterschiedlichen Stundenzahlen dieser Fächergruppe in den einzelnen Schulzweigen einander anzugleichen sowie verschiedenen naturwissenschaftliche Curricula zu entwerfen. So soll unter Berücksichtigung der als notwendig erachteten Fundamenta die Bildung von Lernschwerpunkten ermöglicht werden, die der Neigung der Schüler entsprechen.

2.3.5 - Wahlpflichtunterricht in der Real- und der Hauptschule
Für die Klassen 7 bis 10 des Realschulzweiges wird in einem Wahlpflichtbereich neben Französisch und Niederländisch das Fach Wirtschaftskunde angeboten. Die Vereinheitlichung von Stundentafeln und Lehrbüchern ermöglicht Übergänge von Realschule nach Gymnasium. Die in der Realschule angebotene Wirtschaftskunde erlaubt eine curriculare Zusammenarbeit mit der Arbeitslehre der Hauptschule und lässt partielle Integration und eine Erhöhung der Durchlässigkeit erwarten.

2.4 - Zusätzliche Abschlüsse der Sekundarstufe I
Der Klasse 10 muss besondere Aufmerksamkeit gelten. Durch Zusammenfassung der Hauptschüler, die ein 10. Schuljahr absolvieren möchten, sollen innerhalb der KGS Neuenhaus die Möglichkeiten für individuelle Förderung des einzelnen Schülers verbessert werden. Dazu wird es aus organisatorischen Gründen zweckmäßig sein, dies neue Angebot einer Profilierung des Abschlusses der Sekundarstufe I an alle Hauptschüler des Gesamteinzugsbereiches zu richten.

3 - Gruppen im Kooperationsmodell

3.1 - Die vorgelegte Planung kann nur dann voll verwirklicht werden, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Am wichtigsten erscheint die Offenlegung aller Entscheidungsprozesse, die sich in der KGS Neuenhaus vollziehen oder sie betreffen.
Der Schulversuch ist angewiesen auf die aktive Förderung von Seiten des Kultusministeriums und der Mittelinstanzen, z.B. durch ausreichende Lehrerversorgung und Ausbringen von Planstellen für Funktionen, die innerhalb der KGS Neuenhaus zusätzlich und notwendig erfüllt werden müssen.

3.2 - Alle an der KGS Neuenhaus unterrichtenden Lehrer bemühen sich, über die Unterschiede ihrer Statusvorstellungen und Erwartungshaltungen hinweg zusammenzuarbeiten und die unvermeidlichen Konflikte offen auszutragen. Sie verstehen Schüler, Eltern und Lehrer als die Schule tragende Gruppen, deren Gewicht innerhalb der Schule durch das Maß der Mitarbeit stets neu bestimmt wird. Den Erziehungsprozess der Emanzipation werden sie aus erzieherischer Verantwortung mit dem Blick für das Mögliche und unter stetiger Selbstüberprüfung fördern.

3.3 - Vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Elternschaft in den durch das Niedersächsische Elternvertretungsgesetz vorgesehenen Gremien ist eine selbstverständliche Voraussetzung für das Gelingen des Schulversuchs. Über die Bestimmungen des NEVG ( Nds. Elternvertretungsgesetz) hinaus ist die Mitwirkung der Elternschaft bei der pädagogischen Planung des Schulversuchs dadurch gewährleistet, dass drei Vertreter in der Planungsgruppe Sitz und Stimme haben. Es wird angestrebt, dass die Schulelternräte der drei Schulzweige in einer ihnen geeignet erscheinenden Organisationsform miteinander die gemeinsamen Probleme erörtern, um zu einer einheitlichen Willensbildung zu gelangen; die im NEVG festgelegten Rechte der einzelnen Schulelternräte sind dabei zu wahren.

3.4 - Der durch die vorläufigen Richtlinien zur Schülermitverantwortung gegebene Rahmen für die Mitwirkung der Schüler im Bereich der Schule ist daraufhin zu überprüfen, in welchen Bereichen und in welchem Maße er erweitert werden kann.
Durch die Schaffung geeigneter Ordnungen sollten die Schüler ihrerseits eine demokratische Willensbildung sicherstellen. Ihr Recht, zur inneren und äußeren Gestaltung des Schulversuchs Vorschläge zu unterbreiten, wird ausdrücklich anerkannt.
Die Frage der Vertretung der Schülerschaft ist folgendermaßen geregelt: Die Schüler sind im SPPA mit einer Stimme je Schulzweig vertreten. Die Mitwirkung der Schüler bei der Entscheidung über Methoden und Inhalte des Unterrichts kann vor allem in den Fächern eingeübt werden, in denen Integration, Bildung von Lernschwerpunkten und Arbeitsgemeinschaften vorgesehen sind.

4 - Revision des Kooperationsmodells
Die grundsätzliche Veränderbarkeit in der Zielsetzung und Gestaltung des Schulversuchs muss von allen Seiten anerkannt werden. Es ist die Aufgabe der Wissenschaftlichen Begleitung, die Angemessenheit der Planung im Hinblick auf die Voraussetzungen zu überprüfen.

Quelle: Unterlagen der KGS Neuenhaus
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