Grafschafter Schulgeschichte

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NOH-72

Entwicklung des Schulwesens in Nordhorn

Unsere Aufbauschule

von Heinrich Specht, Grafschafter Heimatkalender 1927, Seiten 78 bis 80

Schon seit Jahrzehnten machte sich in der Grafschaft das Fehlen einer höheren Schule, um die sich Männer der Verwaltung und der Wirtschaft wiederholt heiß bemühten, nachteilig fühlbar. Nur wenigen Jugendlichen gestatteten früher die Vermögensverhältnisse der Eltern, in Zwolle, Campen, Burgsteinfurt, Lingen und nach dem Bau der Eisenbahn Osnabrück - Oldenzaal in Osnabrück oder Münster eine über das Ziel der Volks- oder Rektoratsschule hinaus liegende Bildung zu erstreben. Darunter litt die Kultur des ganzen Grenzstrichs, das führte auch zu einem ständigen, oft beklagten Wechsel in der Beamtenschaft, die aus anderen Landesteilen nach hier verschlagen, nur in seltenen Fällen fest verwurzelte.

Als bei der Neuordnung des Bildungswesens in der Nachkriegszeit einsichtige Männer des Kultusministeriums erkannten, dass unser Volk in Dorf und Kleinstadt wertvolle, unverbrauchte, latente Kräfte besitzt, einen Jungbrunnen, "aus dem es immer wieder das reine Quellwasser seiner völkischen Ursprünglichkeit zu schöpfen vermag", Kräfte ganz anderer, grundsätzlich entgegen gesetzter Art, "als sie in der vorherrschenden Großstadtkultur und den von ihr geformten Großstadtmenschen aller Schichten wirksam sind" und für die mit der Scholle noch fest verbundenen Jugend die Aufbauschule ins Leben riefen, meldeten wir 1922 unsere Forderung nach einer höheren Schule für die Grafschaft mit Nachdruck an. Eine günstige Stunde durfte nicht verpasst werden! Als Ideal schwebte uns die Schaffung einer echten Heimatschule vor, die aus der Heimat ihre Schüler nimmt, sie bildet und so den verschiedenen Berufsständen der Grafschaft volkskundliche Führer gibt.

Unsere Vorstellungen fanden bei den Behörden williges Gehör, und es war für jeden, der es miterlebte, ein denkwürdiger Augenblick, als der Vertreter des Herrn Ministers im Januar 1925 im Bürgermeisterzimmer des Nordhorner Rathauses endgültig erklärte, dass das Ministerium beschlossen habe, Nordhorn mit einer staatlichen Oberrealschule i.A. zu bedenken. Die Stadt gab das Frensdorfer Gemeindehaus als einstweilige Bleibe frei. Herr Studienrat Pfeiffer vom Quakenbrücker Realgymnasium wurde mit der Leitung betraut und trat die Stelle am 1. April 1925 an. Außer ihm wurde Ostern 1925 noch Herr Dr. Meyer-Uelzen an die neu gegründete Schule berufen. Ostern 1926 vermehrte sich das Lehrerkollegium um die Herren Assessoren Wehrmann von der Wilhelm Raabeschule in Lüneburg und Thiele vom Kaiser Wilhelm Gymnasium in Hannover.

Um auch Schülern abgelegener Bauerschaften eine billige Unterkunft zu bieten, pachtete der Kreis am 25. Februar 1926 das schöne Frentjensche Kolonat in Frensdorf auf zwölf Jahre und ließ es zu einem würdigen Schülerheim umbauen. Vorerst wohnten nur zwei Schüler darin, die dem Aufsicht führenden Hauswart eine Vergütung für Kost und Wohnung von 60 Mark monatlich entrichten. Das Heim vermag aber bei voller Ausnutzung in den nächsten Jahren 20 bis 25 Jugendliche zu beherbergen.

Für abgehende Mittelschüler genehmigte der Minister im Frühjahr 1926 die Einrichtung einer Untersekunda, so dass die Anstalt bereits mit der Ostern 1926 planmäßig hinzugekommenen Obertertia drei Klassen aufweist. Die Untertertia wird von 32, Obertertia von 16 und Untersekunda von 12 Schülern besucht. Gegen Ostern 1925 haben sich die Anmeldungen reichlich verdoppelt, eine Erscheinung, die sich auch an anderen Aufbauschulorten beobachten lässt und für dir Wertschätzung des neuen Schultyps spricht. Außer Veldhausen, Georgsdorf, Ohne und Gildehaus senden alle Kirchspiele bereits Kinder zu der neuen Heimatschule. Von den 60 Schülern der Anstalt - 44 Knaben und 16 Mädchen - kommen 27 aus Nordhorn und 33 aus den übrigen Gemeinden des Kreises. Die Zahl der Schüler aus den abgelegenen Bauerschaften muss noch erheblich wachsen und dürfte es auch, da der Kreis, der sich von vornherein in vorbildlicher Weise für die Aufbauschule einsetzte, durch Einrichtung des Schülerheims, Ausgestaltung des Verkehrswesens usw. für eine günstige Entwicklung der Schule vorgesorgt hat, weil er in der festen Fundierung der Aufbauschule im Grenzstrich eine hohe Kulturaufgabe sieht. Im Laufe dieses Kalenderjahres (1927) dürfte auch der schmucke Bau der staatl. Oberrealschule auf dem von der Stadt am alten Postdamm erworbenen Grundstück fertig werden und die Schule aus dem Frensdorfer Gemeindehause ins eigene Heim übersiedeln. Der Bau wurde am 9. August an die Firma J. Michel, Nordhorn, vergeben und kostet rund 500 000 Mark. Vielfach wird in der Bevölkerung die Frage nach den Berechtigungen aufgeworfen, die die abgehenden Schüler der Nordhorner Oberrealschule i. A. genießen.

Dazu ist folgendes zu sagen: Allgemein hat die Aufbauschule die gleichen Berechtigungen wie jede andere höhere Lehranstalt. Das Abitur (6 Jahre) ist für folgende Berufe erforderlich: Lehrer, Mittelschullehrer, Ober-, Zeichen-, Musik-, Handels- und Gewerbelehrer, Ingenieur, für den höheren Post-, Telegraphen-, Eisenbahn- und Bibliothekdienst, für die Offiziers-, Marine- und Zahlmeisterlaufbahn, zum Besuch der technischen Hochschule, zum Eintritt in die Finanzverwaltung, für den Beruf des Landmessers, Arztes, Tierarztes, Zahnarztes usw., für letztere außerdem im Lateinischen der Nachweis der Reife für Obersekunda eines Realgymnasiums. Für die mittlere Laufbahn beim Zoll, bei der Post und Eisenbahn genügt Primareife (4 Jahre).

Die Aufbauschule baut im allgemeinen auf dem Lehrgange des siebten Volksschuljahres einer sechsjährige Schule auf. Der gesamte Schulbesuch ihrer Schüler umfasst hiernach die gleiche Zeit wie bei anderen höheren Schulen, nämlich 13 Jahre (Min. Erl. v. 18.2.1922). Was muss ein Junge (Mädchen) nun können, wenn er - gesund an Leib und Seele - Ostern 1927 zur Aufnahmeprüfung nach Nordhorn geht? Wir lesen darüber in einem Bericht der Friedrich-Paulsen-Schule in Niebüll:

Deutsch: Die Prüfung im Deutschen bezweckt nicht die Feststellung eines bestimmten Tatsachenwissens, sondern es soll in erster Linie die Darstellungsfähigkeit der Schüler im mündlichen und schriftlichen Ausdruck gezeigt werden. Vorausgesetzt werden muss, dass die wesentlichen Regeln der Rechtschreibung sowie die Elementargrammatik bekannt sind, nämlich die Wortarten und der Aufbau des einfachen und zusammengesetzten Satzes mit der dazu gehörenden Zeichensetzung.
Demnach wird in der Prüfung gefordert: Sinnvolles und lautrichtiges Lesen, verständnisvoller Vortrag eines bekannten Gedichtes, eine freie Niederschrift aus dem Anschauungskreise des Kindes und ein einfaches Diktat ohne wesentliche Fehler; freie mündliche Darstellung über einen selbst gewählten Gegenstand oder eine Nacherzählung von etwas Gelesenem.

Mathematik: Als sichere Grundlage muss gefordert werden: Gründliche Kenntnisse der Bruchrechnung und Einblick in den Aufbau ihrer Regeln, Dezimalbruchrechnung, die Fähigkeit klaren Schließens in den einfachen bürgerlichen Rechenarten, besonders Schluss- und Zinsrechnung.
Dauernde Gewöhnung, die Zahlengrößen, auch Bruchzahlen, am waagerecht liegenden, nach rechts gehenden Strahl, dem sogen. Zahlenstrahl, durch Strecken zu veranschaulichen, würde eine wertvolle Vorübung für den arithmetischen Unterricht sein und gleichzeitig dem Ziel der Richtlinien: Erfassung der Größenverhältnisse, dienen.

Geschichte: Kenntnis der Hauptgestalten aus der deutschen Sage und Geschichte.

Erdkunde: Die Grundlage der Globuskunde, übersichtliche Kenntnisse der Kontinente und Ozeane, eingehendere Kenntnisse der Heimatprovinz u. Deutschlands, die Fähigkeit, eine Karte lesen zu können.

Naturkunde: Übersichtliche Kenntnisse der wichtigsten Lebewesen der Heimat, bei den Tieren hauptsächlich die Lebensweise, bei den Pflanzen auch Kenntnisse des Blütenbaues und der hauptsächlichen Funktionen der pflanzlichen Organe, die Fähigkeit, einfache Tier- und Pflanzenbeobachtungen anstellen zu können.

Was Niebüll in Schleswig verlangt, fordert auch Nordhorn. Und nun, Grafschafter Bauer, Bürger und Arbeiter, prüfe in Gemeinschaft mit dem Ortslehrer, Pfarrer oder anderen Personen, denen Du Vertrauen schenkst, ob sich Dein Sohn oder Deine Tochter für den Weg eignen, den ihnen die Schule ins Leben bahnt. Wende Dich in allen Zweifelsfällen vertrauensvoll an den Direktor der Anstalt um Rat. Er wird Dir gern behilflich werden. Schicke Deine Jugend her, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Bildung ist immer eine Macht!

Mögen sich die Hoffnungen, die weite Kreise auf unsere neue Heimatschule setzen, im gleichen Maße erfüllen wie bisher! Möge sie zum geistigen Quellbach für unser Ländchen werden und in Zukunft in irgend einer Form reichen Segen bringen in jedes Haus!

Das walte Gott!

Der Kalendermann.
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