Grafschafter Schulgeschichte

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NOH-76

Entwicklung des Schulwesens in Nordhorn

Erinnerungen an meine Schulzeit - 60 Jahre nach meiner Entlassung aus der Mittelschule Nordhorn

von Willy Harink im März 2004

Noch 60 Jahre später sehe ich ihn leibhaftig vor mir, unseren Klassenlehrer Tönnis Portheine, wie er, mit dem Rücken zum Fenster stehend (das auf den Schulhof zur Alten Maate blickte), uns dieses lateinische Zitat einhämmerte: Non scholae, sed vitae - nicht für die Schule, sondern fürs Leben würden wir lernen. Wie ein roter Faden zog sich seine Maxime durch den Lehrstoff. Wir sollten pauken, pauken, pauken. Unerbittlich war er, ein Pauker im besten Sinne. Disziplin und Pflichtbewusstsein waren selbstverständliche Primärtugenden. So passte es ins Bild, dass wir geschlossen aufstanden, wenn Tönnies P. das Klassenzimmer betrat. Willi Jentsch, der Tür am nächsten sitzend, brüllte "Achtung!", sobald sich die Tür öffnete.

Für unsere Vorträge vor der Klasse wurde erwartet, dass wir alle verfügbaren Quellen gründlich ausschöpften. ´Multum, non multa` - viel, nicht vieles war die Devise. Ich habe dieses Plinius-Zitat später als Titel bei meinen Referaten über Kommunikationsstrategien vor Managementschülern der Industrie genutzt.

Das Lehrprogramm war vielgestaltig und breit gefächert. Ein berüchtigtes Rechtschreibdiktat begann mit den Worten ´Der gleisnerische Mesner Matthias ...`. Später ist es einigen bei einem Auswahlverfahren wieder begegnet. Das Auswendiglernen von Balladen war so selbstverständlich wie das Zeichnen von Länderkarten mit den größten Flüssen und Hauptstädten der Erde. Wir lernten, die Kapitelle dorischer, ionischer und korinthischer Säulen zu unterscheiden. Und die Zeitalter der Erde, wobei auch Funde vom Quendorfer Bahneinschnitt eine Rolle spielten. Nicht im Sinne damaliger Erziehungsideale war 1944 die Erkenntnis, dass wir Germanen keineswegs unbesiegbar waren, wozu Aquae Sextiae und Vercellae als Beispiel dienten.

Ein disziplinierter Charakter zeigt sich, wie uns vermittelt wurde, in der Handschrift. Also wurde Schönschrift geübt. ASDF - JKLÖ - auch Maschinenschreiben war wichtig, das richtige Packen von Paketen und Päckchen für die Front ebenso. Tönnies P., beileibe kein Freund der Nazis (wie sich nach Kriegsende herausstellte, stand er sogar auf deren Schwarzer Liste), wurde wohl wegen seiner pädagogischen Fähigkeiten eingeladen, an der NAPOLA zu unterichten. Er habe abgelehnt. Eine Bemerkung, die uns 15-jährige wohl nachdenklich stimmen sollte.

Biologielehrer Brinkmann war ein glühender Naturliebhaber und profunder Kenner, insbesondere der Vogelwelt. Seine Augen leuchteten, wenn er von der Vogelwarte Rossitten auf der Kurischen Nehrung schwärmte. Er ließ sich schon mal die Hände zeigen, auf die er mit einem Lineal klopfte, wenn die Fingernägel nicht sauber oder sogar angeknabbert schienen.

Wir erhielten für die Zukunft gut gemeinte Ratschläge. So vom Baas, wie Rektor Schmidt genannt wurde. Weder eine reine Liebesheirat noch eine Vernunftheirat sei wünschenswert, sondern eine vernünftige Liebesheirat. Im Englischunterricht schrieb er den Namen des Mitschülers Dowerk an die Tafel und änderte ihn dann in "Do work!" doppelsinnig um, womit er den kategorischen Imperativ erklärte.

Johann Potgeter musste als erster in den Krieg. Die Klasse hat ihn am Bus nach Lingen, der vom Marktplatz abfuhr, verabschiedet und mehrere Unterrichtsstunden geschwänzt. Die Strafe war ein Aufsatz: ´Kameradschaft und Pflicht`. Mit unserem Verhalten sollten wir uns kritisch auseinandersetzen. Wir fühlten, richtig gehandelt zu haben. "Pötti" ist nicht zurückgekehrt.

Unsere Lehrer kannten nicht die permissiven Erziehungsmethoden der Nachkriegszeit. Für den Wunsch, das Gelernte zu vertiefen und dadurch das Leben zu bereichern, haben sie die Basis geschaffen. Viele von uns erinnerten sich an die Schulzeit, wenn sie später die großen Monumente der Geschichte und Kunst und Naturdenkmäler bewunderten - die Marienburg oder die Akropolis oder die Kreidefelsen von Rügen. In Quedlinburg, vor der vermeintlichen Gruft Heinrich I., hat ein Klassenkamerad gestanden und (natürlich symbolisch) salutierend gemeldet: "Gefreiter Gerd Dust. Das Dritte Reich heil überstanden". Quod erat demonstrandum.

Quelle: Grafschafter Nachrichten vom 20.03.2004
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