Grafschafter Schulgeschichte

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Valentin

Biographien Grafschafter Lehrerinnen und Lehrer

Hans Valentin 

1883 - 1958
von Ludwig Sager (1959)

Eine große Trauergemeinde füllte am 20. Dezember des vergangenen Jahres (1958) die weite Halle des Krematoriums vor den Toren der alten Stadt Osnabrück. Liebe und Verehrung hatten die Freunde von fern und nah zur Trauerfeier gerufen, die dem Gedenken des am 17. Dezember verstorbenen Schulrates Hans Valentin galt. Im gleichen Jahre hatte anlässlich seines 85. Geburtstages unsere Heimatzeitung seiner noch gedacht.

Nicht die Fülle der Jahre, sein hohes Alter, nicht eine Krankheit hat seinem reichen Leben plötzlich ein Ziel gesetzt: bei einem Verkehrsunfall war er vier Tage vorher schwer verletzt. So wurde der seelisch und körperlich immer jung gebliebene "Wanderer zwischen zwei Welten" ein Opfer der Zeit, deren Entwicklung er in den letzten Jahren mit Sorgen verfolgte, war er doch sein ganzes Leben bemüht gewesen, in Amt und Beruf seiner Zeit Impulse zu geben aus dem Geiste der Großen, die über unsere Erde gingen, aus dem Geist des Größten, den einmal die Erde sah.

In dieser Stunde fühlten es seine alten Freunde, die vielen, vielen ehemaligen Schüler: in seinem Amte, in den ihm gesteckten Grenzen ist der Verstorbene seiner Zeit gerecht geworden, da hat der hochbegabte Schulmann aus reichem, vollem Herzen gegeben und immer wieder gegeben.

Erfüllten heute leise Klänge der Orgel die blumengeschmückte Halle, so schwang viel stummes Danken mit.

In bewegten Worten würdigte Superintendent Grimm als Freund und Pastor das Leben des alten Schulrats, der ihm im vertrauten Gespräch mehr und mehr das oft verschlossene Herz geöffnet. Mehr und mehr habe er erkannt, wie strenge Pflichtauffassung glücklich mit hingebender Liebe gepaart gewesen sei. Und denen er Freund geworden, mit denen er auf großen Lehrertagungen Tage und Stunden um geistige Probleme gerungen, die wussten auch um den vollen Dreiklang seines Wesens: um die goldene Heiterkeit eines reinen Herzens nach schwerer Arbeit.

Den Dank der Regierung und der Stadt Osnabrück überbrachte Regierungsdirektor Pax. Würdig sei der Verstorbene neben zwei Schulmänner aus Osnabrück aus vergangenen Zeiten zu stellen, neben Schüren und Backhaus. Wie diese habe auch Hans Valentin sich in den Herzen der Menschen ein Denkmal gesetzt.

Im Namen der Lehrerschaft nahm Schulrat Fryn Abschied von dem ehemaligen Vorsitzenden des Bezirkslehrervereins, dessen Geschicke er mit außergewöhnlicher Hingabe und Tatkraft zwanzig Jahre leitete. Nach dem Zusammenbruch 1945 habe der Zweiundsiebzigjährige sich wieder zur Verfügung gestellt, um an der Neugründung des deutschen Lehrervereins teilzunehmen. Erlittene Kränkungen hatten ihn nicht verbittert. Das wurde deutlich, als 1948 bei der Wiederbegründungsfeier des Bezirkslehrervereins - zugleich Jahrhundertfeier - der alte Vorsitzende den Festvortrag hielt. Wie ehemals die großen Lehrerversammlungen sei auch diese Feier getragen von seiner mitreißenden Persönlichkeit. Was Valentin in einem langen Leben für die Schule getan, würdigte Schulrat Fryn in warmen Worten des Dankes: "Hans Valentin, wir danken Dir und betonen es an Deinem Sarge in freudigem Stolz und wehmütiger Trauer: Du warst unser!"

Auch Grafschafter Freunde des Toten waren zur Trauerfeier erschienen. Rektor Schleutker und Konrektor Liese vertraten unsere Lehrerschaft. Hans Valentin war sehr innig mit dem Grafschafter Land verbunden. Dazu mag noch einiges gesagt sein. Der Verstorbene entstammte einer ostfriesischen Lehrerfamilie. In seinem Vaterhause waren einst die großen Führer der ostfriesischen Lehrerschaft, Jütting, Sundermann, Arend Smid, liebgesehene Gäste. Gaben diese wackeren Männer dem begabten Jungen das erste Geleite und die Richtung?

Der junge Lehrer, echter Berufung folgend, begann seine Lehrtätigkeit 1893 in Nordhorn. Hier schloss er auch Freundschaft mit unserem vor einigen Jahren verstorbenen Heimatfreund H. Reurik. Neue Wege suchten die beiden Stürmer und Dränger für die Schule, für die Entfaltung der freien, nur dem Gewissen verantwortlichen Persönlichkeit. Unsere Heimatzeitung öffnete dem Hochbegabten gern ihre Spalten. Frischer Wind fuhr über alte, ausgefahrene Gleise. Unter dem Pseudonym "Felix" erschienen Valentins erste Gedichte. Auf den Wanderungen mit Reurik, oft ging's bis nach Wielen, fand er im Lehrerhaus in Hilten seine Lebensgefährtin Wilhelmine Fuhlenbrok. Da jauchst sein Herz in überströmender Freude:

"Zog der Bursche aus dem engen Haus
in die weite, weite Welt hinaus,
zog durch Wald und morgenfrische Heide,
Schwoll sein Herz vor Stolz und hoher Freude.
O du Heide weit,
Lieb und Seligkeit
quillt aus deiner rosenschönen Flur!"

Der junge Dichter traute seinen Augen nicht, als er nach einigen Jahren diese Verse, von Bernhard Iversen komponiert, als festliches Sonderblatt in einem Berliner Musikladen in der Auslage wieder fand. Er hat dann noch viele Verse geschrieben und diese später, als bunte Blüten am Lebensweg, in einem stattlichen Lederband für Kind und Kindeskinder zusammengefasst. Sein besonderes, kriegsbedingtes Geschick mag hier erwähnt werden. Als der Bombenterror in Osnabrück immer größer wurde, übergab er einem Grafschafter Freunde den Band mit der Bitte, ihn in seine Obhut zu nehmen. Das Befürchtete geschah: Palmarum 1945, in den letzten Kriegswochen, kam der schwerste Luftangriff über Osnabrück. Das Haus Valentins ging in Flammen auf, von der kostbaren Bibliothek, bestehend aus 2500 Bänden, wurde kein Buch gerettet. Tief ergriffen von diesem Schicksal seiner Freunde auf Regalen und Borden, war es ihm eine Freude, den ihm wertvollste Band später heil aus der Grafschaft zurückzubekommen.

Als Junglehrer hatte Valentin nach vier Dienstjahren Nordhorn verlassen, als Schulrat führte der Dienst den Rektor der Teutoburger Schule 1920 nach der ihm lieb gewordenen Grafschaft zurück. Er war einer der ersten, aus dem Lehrerstande hervorgegangenen Aufsichtsbeamten, denen nach Beendigung der geistlichen Schulaufsicht eine Schulratsstelle übertragen wurde. Es kann mit Recht gesagt werden: diese Berufung war vom Vertrauen der Lehrerschaft getragen. Bedeutsam das Wort, als er sich dem Kreislehrerverein als neuen Vorgesetzten vorstellte: "Die Zeit der geistlichen Schulinspektion ist nicht mehr. Kollegen, ich lege auf den "Inspektor" wenig Wert, helfen und raten möchte ich, in dem Sinne lasst mich Euer Rat sein." Sein hervorragendes Können und Wissen kam der Schule, deren Anwalt er zeitlebens war, zugute. Viele tausend Kilometer hat er in den neun Jahren dieser Tätigkeit mit dem Rade abgefahren. Forderte er von sich letzte Hingabe, so auch von seinen Lehrern. Wo es galt, eine von ihm als notwendig erkannte Maßnahme durchzusetzen, sprach der "alte Ostfriese" ein deutliches Wort bei der Behörde, wobei er dieser recht unbequem werden konnte. Gab er dem fern im Moor sitzenden hilfesuchenden Lehrer ein zusagendes Wort, dann wurde auch das Wort zur Tat. Große Dinge sah er groß, alles Kleinliche dementsprechend. Zur Erholung wurden ihm die Fahrten durch die Heide, durch die grüne Saat und Birken, die Plauderstunde bei Nonno de Vries in Esche, dem alten Auricher Seminarfreund. Und wie lebendig wusste er zu erzählen von der Schönheit der Landschaft, von dem tagsüber Geschauten, wenn er abends bei guten Freunden vor dem Lehrerhause unter den Linden saß, die Pfeife dampfte und der Humor nicht minder!

Hans Valentin liebte die Grafschaft, seine zweite Heimat, wie er oft betonte. Die Bentheimer Spiele hatten an ihm einen treuen Berater und Helfer. Die Buchgaben des Heimatverein, dessen Mitglied er schon zeitig war, beantwortete er mit ehrlichem Dank: "Dadurch fühle ich mich immer aufs neue mit der Grafschaft verbunden". Die ersten Heimatkalender bringen Gedichte und Aufsätze aus seiner Feder.

Nachdem Valentin längst im Ruhestande lebte, führte ihn sein Weg noch einmal in unser Land zurück. Der Krieg hatte große Lücken gerissen. Schulrat Schweer war plötzlich gestorben. Die Regierung fragte in der Rehmstraße nicht vergebens an, ob der Siebzigjährige unsern Kreis während des Krieges stellvertretend schulisch betreuen wolle. Er sagte gern zu. "Dienen müssen wir in dieser Zeit alle. Bei Euch in der Grafschaft habe ich angefangen, da will ich auch die letzten Dienstjahre beschließen", schrieb er dem Freunde. So fuhr er wieder die vertrauten Wege. So half er in den schweren Jahren in all den Nöten, die an keiner Schule vorbeigingen.

Als nach eineinhalb Jahren der immer noch rüstige, selbstbewusste Mann sich in seiner inneren Freiheit beschränkt sah, meldete er sich kurzerhand beim Regierungspräsidenten: "Valentin meldet sich ab. Ab 31. d. M. mache ich keinen Dienst mehr".

Am 24 Juni d. J. sind es zehn Jahre, als der Ehrenvorsitzende des Bezirksvereins zum letzten Mal zu den Grafschafter Lehrern sprach. Es war in Nordhorn. In großen Umrissen, aus voller Kenntnis des Vergangenen, zeigte er den schweren Weg des deutschen Lehrervereins auf. Ihm parallel läuft die Entwicklung der deutschen Schule. Das war auch Hans Valentins Weg, Valentins Lebensarbeit. Da sprach kein müder, verbitterter Greis. Er blieb ein ganzer Mann, eine von Freiheit und Idealismus erfüllte Persönlichkeit. Es war der gleiche Mahner und Rufer, der im Bentheimer Jahrbuch 1926 schrieb:

          "Schicksalsgenossen wir all - schließet den Ring der Not!
          Sonnen versanken - doch fern glüht schon das Morgenrot!"

Diesen Mann darf die Grafschaft Bentheim nicht vergessen!

Quelle: Ludwig Sager, Hans Valentin und die Grafschaft, in: "Der Grafschafter", Heimatbeilage der Grafschafter Nachrichten, Februar 1959
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