Grafschafter Schulgeschichte

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Wieking

Biographien Grafschafter Lehrerinnen und Lehrer

Johann Wieking

1886 - 1970

Der ehemalige Hauptlehrer der ev. Brandlechter Volksschule (siehe: B03) wurde am 18.05.1886 in Gildehaus geboren. Nach 8-jährigem Besuch der dortigen Volksschule absolvierte er eine Lehrerausbildung in Aurich/Ostfriesland, wo er auch seine erste Lehrerprüfung ablegte. Seine Lehrerlaufbahn führte ihn zunächst nach Georgsdorf und Bimolten, bevor er am 01.05.1913  an der ev. Volksschule in Brandlecht seine neue Stelle antrat, in der er über 38 Jahre wirkte und das Schulleben entscheidend prägte. In dieser Zeit wurden viele Brandlechter und Hestruper Jahrgänge vom 6. Lebensjahr an über 8 Jahre fachkundig und vielseitig von ihm unterrichtet und zu alten Tugenden wie Fleiß, Gehorsam, Ordnung und Disziplin erzogen.

Wie den folgenden plattdeutschen Ausführungen in "Usse Schoaltied..." des ehemaligen Schülers und Zeitzeugen Hermann Wilmink, dessen Elternhaus in unmittelbarer Nähe zur Schule stand, zu entnehmen ist, führte Herr Wieking in der Schule und darüber hinaus ein strenges Regiment. Bei ihm herrschten noch Zucht und Ordnung, keiner wagte es, den Unterricht zu stören. Man konnte noch buchstäblich die Stecknadel fallen hören. Bei Unterrichtsbeginn hatten wir damals aufzustehen und gemeinsam im Chor den Lehrer laut zu grüßen. Bei dieser Gelegenheit wurden, sicherlich auch manchmal berechtigt, Reinlichkeitskontrollen durchgeführt, indem wir unser Taschentuch und die Fingernägel auf Sauberkeit vorzeigen mussten.

In der damaligen Zeit war die Prügelstrafe in der Schule und auch im Elternhaus als Ordnungs- und Erziehungsmittel noch erlaubt, und davon hat Herr Wieking all die Jahre viel Gebrauch gemacht. Manch ein Zeigestock ging dabei zu Bruch und wurde kurzerhand durch eine Haselnussrute aus der benachbarten Hecke ersetzt. Er war als "Autorität" gleichzeitig geachtet und gefürchtet. Man konnte viel bei ihm lernen, andererseits gingen wir, nicht selten mit Angst und Schrecken zur Schule, weil wir nicht wussten, was uns im Unterricht erwartete. So soll es in Einzelfällen vorgekommen sein, dass sich Schüler von ihrer Mutter ein dünnes Kissen in den Hosenboden nähen ließen, um die schlimmsten Schläge abzufangen.

Gott sei Dank ist die Prügelstrafe inzwischen verboten. Damals war die Volksschule die Regelschule und hatte einen hohen Stellenwert. Nur wenige junge Menschen vom Lande besuchten früher die Mittelschule (Realschule) oder gar die Oberschule (Gymnasium).

Über den Unterrichtsalltag hinaus bekleidete Herr Wieking in seiner Freizeit noch zahlreiche Ehrenämter. Als Mitglied des örtlichen Schulvorstands (neben Pastor und Gemeindevertretern), Rechnungsführer des Gesamtschul- verbandes Nordhorn, Organist der ev. ref. Kirche Brandlecht,  Leiter des Posaunenchores und Standesbeamter gestaltete und prägte er nachhaltig das schulische, kirchliche, politische und gesellschaftliche Leben in der Gemeinde und hat er sich beispielhaft um das Allgemeinwohl vor Ort verdient gemacht.

Wie aus den Annalen und Protokollen der Schule hervorgeht, hat sich der Schulvorstand über all die Jahre u. a. mit Problemen zu beschäftigen wie z.B. kurzzeitig:
  • Schulbau- und Finanzierungsfragen (Schulkosten)
  • Lehrerversorgung und -unterbringung (Lehrerwohnungen)
  • Lehrerbeköstigung (z.T. in Familien der Gemeinde bzw. Zuwendungen der Bauern in Form von Geschlachtetem, Eiern, Brot und Kartoffeln)
  • Brennstoffversorgung der Klassen und Lehrerwohnungen (mit Torf durch Gemeinden)
  • Schulreinigung (Klassen und Aborte)
  • Schullehrgarten (Obst- und Gemüseanbau, u. a. auch zur Selbstversorgung)
  • Gesundheitsfragen (Hygienevorschriften, Schutzimpfungen, Läuseplage)
Mit unangemeldeten Kontrollen durchden Schulrat (Leistungskontrollen) und Schularzt (Gesundheitsamt) musste jährlich gerechnet werden.

Der damalige Biologieunterricht war sehr interessant, natur- und lebensnah. Durch Ausflüge (Wanderungen) in die Natur (Moor, Feld, Wald und Flur) wurden wir Schüler mit der Schöpfung (Flora und Fauna) konfrontiert und lernten aus eigener Anschauung die verschiedenen Pflanzen, Blumen, Kräuter, Laub- und Nadelbäume, ebenso wie die Tier- und Vogelwelt (u.a. Spuren des Wildes, Vogelstimmen) kennen und bestimmen.

Im Frühjahr erlaubten wir uns oft den Spaß, unterwegs auf dem langen Schulweg (in Holzschuhen) von Hestrup nach Brandlecht Maikäfer von den Bäumen zu schütteln, in die Griffelkästen zu stecken und anschließend klammheimlich im Unterricht bei den jüngeren Lehrkräften freizulassen.

Auch in der Landwirtschaft kannte sich Herr Wieking bestens aus und vermittelte dem ländlichen Nachwuchs an der hiesigen landwirtschaftlichen Berufsschule erfolgreich die für diesen Beruf notwendigen theoretischen und praktischen Kenntnisse.

Große Anerkennung fand er auch auf dem Gebiet der Rasse-Geflügelzucht. Als langjähriger Vorsitzender des Geflügelzuchtvereins Nordhorn und der Kreisgruppe Emsland hat er sich große Verdienste erworben, u. a. gründete er in dieser Zeit die Geflügelzuchtvereine in Veldhausen und Neuenhaus. Durch die Züchtung der sog. "Kraienköppe", einer damals neuen Rasse, bleibt sein Name untrennbar mit der Geflügelzucht verbunden. Noch heute darf diese Rasse auf keiner Grafschafter Geflügelschau fehlen.

Am 01.06.1951 wurde der Hauptlehrer Wieking nach 38 Dienstjahren in Brandlecht im Alter von 65 Jahren  vom Schulrat Portheine, Nordhorn, über den Schulleiter der kath. Brandlechter Schule, Herrn Zahlten, in der Ruhestand versetzt und für seine großen Verdienste am 09.06.1951 in Anwesenheit von Vertretern beider Gemeinden und hiesigen Schulen feierlich verabschiedet. Über die Dankesworte hinaus wurden Herrn Wieking und seiner Gattin viele Abschiedsgeschenke mit auf den Weg nach Rieke, Ostfriesland, seiner neuen Wahlheimat gegeben. Sichtlich bewegt von der ihm zum Abschied erwiesenen Ehre hob der noch rüstige Pensionär hervor, dass ihm die Arbeit in den zurückliegenden 38 Jahren trotz oft überfüllter Klassen stets leicht gefallen sei, ihm viel Freude bereitet und Lebenserfüllung gebracht habe, weil die beiden Gemeinden jederzeit großes Interesse an der Schule gezeigt und ihn im Unterrichtsalltag unterstützt hätten.

Bei einer späteren privaten Abschiedsfeier der Nachbarn trug der Bauer Mensen ein von ihm verfasstes Gedicht mit dem Titel "Abschied" vor, in dem die herausragenden Verdienste seines ehemaligen Lehrers besonders gewürdigt werden und der persönliche Dank mit den besten Wünschen für die Zukunft zum Ausdruck kommen.

Im Nachhinein kann man allgemein festhalten, dass der Lehrer Wieking sehr vielseitig interessiert war und er sein umfangreiches Wissen und Können über rund vier Jahrzehnte hochmotiviert und impulsgebend an den Nachwuchs weitergegeben hat. Sein Name hat sich daher bis heute, über mehr als 50 Jahre nach seiner Pensionierung, bei den betroffenen hiesigen Eltern und Schülern wie in Stein gemeißelt eingeprägt und wird denen, die ihn kennen, schätzen und ggf. auch fürchten gelernt haben, unvergessen bleiben.

Zur Familie Wieking:
Herr Johann Wieking heiratete im Jahre 1911 Frau Luise, geb. Grupe, aus Belm bei Osnabrück. Aus der Ehe gingen zwei Kinder hervor. Beide schlugen die Lehrerlaufbahn ein. Sohn Jan-Hermann trat in die Fußstapfen seines Vaters und war nach dem zweiten Weltkrieg Lehrer in Brandlecht und Scheerhorn. Aus seiner Ehe gingen zwei Kinder hervor. Tochter Lieschen war Landwirtschaftslehrerin an der Berufsschule in Nordhorn. Sie heiratete später den Landwirt Hermann Lindna in Ihlow-Riepe und zog 1948 zu ihm nach Ostfriesland.

Nach der Pensionierung bauten Johann und Luise Wieking ein eigenes Haus in der Nähe der Tochter, wo sie ihren Lebensabend verbrachten. Im Jahre 1961 feierten sie ihre Goldene Hochzeit. Hierüber wurde in den Grafschafter Nachrichten ausführlich berichtet. Frau Luise Wieking verstarb 1966. Kurz darauf erlitt ihr Mann Johann Wieking einen Schlaganfall und verstarb 1970. Beide wurden in seiner Heimat in Gildehaus beerdigt.

                                                                                          Gerhard Aschermann (2005)
Quelle:
"Porträt des ehemaligen Brandlechter Volksschullehrers Johann Wieking (1886 - 1970)", 10. 08. 2005, verfasst von Herrn Gerhard Aschermann, Vorsitzender des Heimatvereins Brandlecht/Hestrup e.V., veröffentlicht im Jahrbuch des Heimatvereins 2006, Seite 259 (leicht gekürzt)

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