Die letzten Jahrzehnte haben für unsere deutsche Landwirtschaft eine gewaltige Änderung, ja fast Umwälzung aller Wirtschaftsverhältnisse gebracht. Die modernen Verkehrsmittel ermöglichen die Schaffung einer großartigen Industrie, deren hochbezahlte Arbeiter zwar durch gesteigerten Verbrauch von Lebensmitteln dazu beitragen, dass die Preise der tierischen Erzeugnisse rasch anstiegen, aber auch als Rückwirkung die höheren Löhne der Landarbeiter brachte.
Ferner schuf uns diese Zeit außerordentlich wertvolle Hilfsmittel der landwirtschaftlichen Technik: ertragssteigernde Handelsdünger, arbeitssparende Maschinen, bedeutende Verbesserungen auf dem Gebiet der Pflanzen- und Tierzucht, neue Erkenntnisse in Bodenbearbeitung und Düngung.
Das alles sind neue Verhältnisse, und nur der Betriebsleiter einer großen oder kleinen Landwirtschaft kann hieraus Nutzen ziehen, der es gelernt hat, die neue landwirtschaftliche Technik sich zu Nutze zu machen; nur der kann rasch und sicher weiterkommen, der es versteht, die Vorteile dieser neuen Verhältnisse sich anzueignen und die Nachteile zu vermeiden. Leider steht aber die Masse der hiesigen Bauern auch heute noch mißtrauisch auch den bestbegründeten Anregungen gegenüber, welche eine Änderung der Betriebsweise bezwecken. - Und Misstrauen ist nun mal unter allen Umständen ein Zeichen der Schwäche. - Zäh hängen sie am Alten fest, an des Vaters, des Großvaters Weise. - "Dat is ait so west, dat blivt vördann."
Dem Bauern hieraus einen Vorwurf zu machen, ist aber sehr ungerecht. War doch sein Vater bis jetzt zugleich sein einziger Lehrmeister, diese meist einfache Lehre seine einzige Fachschulung.
Aber dabei ist die Landwirtschaft ein Gewerbe, dessen richtiger erfolgreicher Betrieb viel größere Kenntnisse voraussetzt als jedes Handwerk. Für das Handwerk aber werden heute von allen Freunden eines gesunden, lebenskräftigen Mittelstandes Befähigungsnachweise gefordert, die eine gründliche Fachschulung voraussetzen.
Das ganze große Problem der Förderung der deutschen Landwirtschaft löst sich demnach in dem anderen Problem auf: das fachliche Wissen der Bauern den heutigen Erkenntnissen der Landwirtschaftslehre anzupassen.
Die zweckmäßigsten Einrichtungen, diegeeignetsten Mittel müssen ja wirkungslos bleiben, solange mangelhaftes Verständnis, wieder herrührend aus mangelhafter Schulung, verhindert, dass die Bauern selbst diese Mittel erfassen und anwenden.
In Würdigung dieser Umstände wurden in allen deutschen Staaten landwirtschaftliche Fachschulen eingerichtet, von denen die sogenannten Winterschulen für ländliche Verhältnisse zumeist in Frage kommen.
Der hohe Wert dieser Fachschulen ist auch hier durch zahlreiche, augenscheinliche Erfolge bewiesen. Die Gelegenheit, ihren Söhnen eine gründliche und billige Fachausbildung zu verschaffen, ist somit unserem Bauernstande auch hier gegeben. Mögen sie diese ergreifen.
Quelle:
Kreisblatt für den Kreis Grafschaft Bentheim (Neuenhauser Zeitung), Ausgabe Sonnabend, 27. Oktober 1906 (Abschrift in: Der Grafschafter, 10/2006)