von Renate Dübbert, geb. Gilbert
Vorbemerkung: Um die Jahrhundertwende trafen sich 27 ehemalige Schüler der Volksschule Itterbeck aus den Jahrgängen 1954 bis 1957 nach 40 Jahren wieder. Der einstige Klassenlehrer Kurt Schinkowski war bereits 1990 verstorben. Für ihn nahm aber seine Frau an dem Treffen teil. Die ehemalige Schülerin Renate Dübbert (geb. Gilbert) - sie wohnte zu der Zeit im Flüchtlingslager - hat einige Erinnerungen niedergeschrieben, die hier wiedergegeben werden.
"Manchmal denke ich zurück an die Zeit vor 40 Jahren. Dann sehe ich diesen Ort vor mir: Itterbeck. Vieles ist unvergesslich geblieben, als hätte es sich erst gestern ereignet. Obwohl diese ersten Jahre nach dem Krieg von großer materieller Not geprägt waren, blieb uns Kindern eine schöne, noch intakte Natur. Wir konnten bedenkenlos Wasser aus dem Naturbrunnen trinken, brauchten keine Angst zu haben, von einem Auto überfahren zu werden. Die Straßen gehörten uns und auch unsere kleine, geliebte Dorfschule.
Unser Lehrer musste ständig improvisieren, musste Tag für Tag eine unglaubliche Leistung vollbringen. Vier Klassen in einem Raum unterrichten, das würde heute kein Lehrer mehr mitmachen. Trotz aller alltäglichen Widrigkeiten war der Zusammenhalt der Schüler von einer tiefen Kameradschaft geprägt. Raufereien gab es schon, aber keine Brutalität, wie es heute oft an den Schulen vorkommt. Sehr viel später erkannten wir klar, wie sehr wir unseren Lehrer gemocht und verehrt haben, seinen lebendigen Unterricht, sein Verständnis für unsere Sorgen und Nöte. Oft genug hat unser kindliches Unverständnis ihm schwer zu schaffen gemacht.
Er nahm es hin und dafür danken wir ihm noch heute. Er war ein besonderer Mensch und ein vorbildlicher Lehrer. Er konnte uns viel vermitteln, obwohl die Umstände äußerst schwierig waren. Auch an den kleinen Laden neben der Schule denke ich oft zurück. Für einige Pfennige gab es hier Bonbons und Dauerlutscher. Wir waren nicht verwöhnt, aber wir waren glücklich. Im Winter liefen wir anfangs in Holzklumpen, mit dicken schafwollenen Strümpfen herum, die unsere Mütter selber strickten. Wir kletterten auf Bäume, streiften durch Wald und Feld. Wir sammelten Beeren und Pilze, bauten uns Spielhäuser. Badeten im Sommer in den Kiesgruben oder in Bächen. Wir besaßen so gut wie keine Spielsachen, aber die schöne Natur entschädigte für alles.
Kinder setzen viel Phantasie ein, wenn es darum geht, Spiele zu erfinden. Kieselsteine, Glasscherben, Moos, Vogelfedern und weißer Sand genügten oft voll und ganz. Kreisspiele waren sehr beliebt, überhaupt alle Gemeinschaftsspiele, die mit viel Eifer und Disziplin durchgeführt wurden. Zwischen den einheimischen Kindern und uns, die wir aus dem Osten Deutschlands kamen - und eigentlich Fremde waren, bildeten sich mit der Zeit herzliche Schulfreundschaften heraus. Kinder haben in dieser Beziehung viel weniger Probleme als die Erwachsenen. Viele schöne Erinnerungen verbinden uns wohl alle mit unserer Schulzeit.
Zur Weihnachtszeit stand die Schulweihnachtsfeier stets im Mittelpunkt. Auf der kleinen Bühne, sie bestand aus einfachen Decken, sagten wir Gedichte auf und studierten ein Stück ein. Eine wunderbare Spannung und Heimlichkeit lag über allem. Oder die Osterfeste, wenn wir bei gutem Wetter Eierkullern spielten. Derjenige, dessen Ei nicht kaputt ging, war Sieger. Vieles ist natürlich im Laufe der Jahre in Vergessenheit geraten. Manchmal kommt bei Gesprächen das eine oder das andere wieder ans Licht. Und wir fragen: Weißt Du noch? Damals ... ?
Wir waren glückliche Kinder, trotz großer materieller Entbehrungen. Glückliche Kinder in einer heilen Umwelt, gewappnet für unser ganzes späteres Leben. Dafür sollten wir dankbar sein.
Unser Lehrer Schinkowski trug wesentlich dazu bei, dass wir heute so gern an unsere Schulzeit zurückdenken. Wünschen wir seiner Seele Ruhe und ewigen Frieden. Heute ist eine andere Zeit. Ob sie besser ist, muss jeder selbst entscheiden."